№ 27 Scheitern, Lernen, Demut – ein Gespräch über Erfolg und Versagen als zwei Seiten der gleichen Medaille
“Unser Weg wird geprägt durch die Menschen, die wir treffen.”
Über das Scheitern im Leben und im Job, wie es uns prägt, wie es uns entwickelt und voranbringt – als Menschen und als Organisation sprechen wir mit Frauke von Polier, Chief People Officer bei Viessmann, Beirätin bei HeyJob und Lektorin am Institut für Führung in St. Gallen und Sirka Laudon, Personalvorständin und Arbeitsdirektorin bei Axa.
Unsere beiden Gesprächspartnerinnen stehen für Mensch und Organisation in ihren Unternehmen, vor allem aber für ihre ganz persönliche Fähigkeit, in ihrem Funktionsbereich Mensch, Organisation, Kultur Unternehmen erfolgreich an deren Marktumfeld mit Mensch und Kultur zu verändern.
Und ganz aktuell: Beide sind für den “CHRO des Jahres 2022” nominiert, der jährlich vom Haufe Personalmagazin und vom Publikum gewählt wird.
In unserem Gespräch geben sie als zeitgemäße HR Vordenkerinnen unter anderem Einblicke in die Frage, wie HR Experten Brüche und Lücken in Lebensläufen interpretieren: Wie viele Brüche, wie viel Wahrheit ist erlaubt oder auch was ist geraten, wenn der eigene Lebenslauf Stationen des Scheiterns oder Lücken aufweist?
“Es geht darum, eine stimmige Geschichte zu erzählen”, ist Frauke von Polier überzeugt, verweist auf ihr eigenes Linkedin Profil und teilt im Gespräch offen Stationen ihrer eigene Biografie vom Aufwachsen im kleinen Dorf mit einer alleinerziehenden Mutter über erste aufregende Startup Erfahrungen bei Lycos hin zu den eigenen ernsten Wechselfällen des Lebens, die die Perspektive auf Wollen und Werden noch einmal ganz zentral prägen.
Das Sprechen übers Scheitern wird heute als “Fehlerkultur ist Lernkultur” in Organisationen kultiviert. Formate wie sogenannte “Fuckup Nigths” sollen Menschen ermutigen, das Scheitern besprechbar zu machen. Es gehe aber vor allem um das Lernen aus Fehlern, “weg von einer Glorifizierung des Scheiterns hin zur Glorifizierung des Lernens”.
Dazu stellt Sirka Laudon fest: “Wir müssen unterscheiden: Bei inhaltlichen Fehlern, die man nicht wiederholen will, ist es gut und hilfreich, Transparenz zu schaffen. Es darf aber nicht dazu führen, dass Schlampigkeit zelebriert wird. Wie gut es gelingt, als Organisation wirklich aus Fehlern zu lernen, hängt letzten Endes eng am Reifegrad.”
Immer wieder passiert es, dass Unternehmen eine disruptive Besetzungsentscheidung treffen in der Hoffnung und Absicht, diese eine Person brächte den Wandel. Doch zeigt die Erfahrung: Enttäuschung und das Gefühl des Scheitern auf beiden Seiten sind eher die Regel als die Ausnahme. Wieviel Risiko verträgt eine Besetzung – für beide Seiten?
“Ich habe mir sehr genau angesehen, wieviel Raum ich mit meiner Andersartigkeit bekomme, die gewünschte Veränderung anzuschieben.” beschreibt Sirka Laudon ihre Entscheidung, sich für ihre Aufgabe bei einer Versicherung wie Axa zu entscheiden. Denn der Wandel, der mit einer disruptive Personalentscheidung auf hoher Ebene einhergeht, muss von den Entscheidern wirklich gewollt sein. Ansonsten geht die Rechnung nicht auf: “Man unterschätzt manchmal die Beharrungskräfte der Organisation – und auch die Macht, die Geführte haben, eine Führungskraft ins Leere laufen zu lassen.”
Die Fähigkeit, “Herkunft mit Zukunft zu verbinden” gilt auch hier als kluge Handlungsmaxime, so Frauke von Polier. Und das gelingt dann, so ergänzt sie, wenn man sich wirklich die Zeit nimmt, in der Tiefe zu verstehen, woher die Organisation, die es zu verändern gilt, kommt. “Wo kommen wir her, wo wollen wir hin?” es kann schon 3 – 6 Monate dauern um “das Alte” zu verstehen, um das Neue gut und wertschätzend, mit Respekt vor den Wurzeln zu gestalten; ansonsten wird man die Menschen nicht für seine Ideen gewinnen können, ist Frauke von Polier überzeugt.
Gleichzeitig haben die Krisen unserer Gegenwart Unternehmen gezwungen, sich selbst schnell und fundamental neu zu denken. In Transformationsvorhaben gibt es jedoch nicht nur die Euphorie des Aufbruchs gibt, sondern oft auch die Downside, dass wir Menschen fundamentale Veränderungen zumuten muss, bis hin zur Trennung von Geschäften und damit von Menschen, die sich viele Jahre in einer Organisation zugehörige gefühlt haben. Wieviel Veränderung kann man Menschen zumuten?
” Wir denken, das Verständnis für Veränderung wäre ein rein rationaler Prozess. Die Veränderungsbereitschaft von einzelnen Menschen wird oft überschätzt.”
Es gibt immer auch unliebsame Handlungsstränge in Transformationsprozessen, die man gut vermitteln muss – und dennoch wird die Botschaft nicht bei allen gleichermaßen verfangen, dass beispielsweise eine stärkere Digitalisierung uns als Unternehmen voran bringt. Gerade deshalb sind wir gezwungen, einen großen Teil unserer Energie zu investieren, um die Menschen zu befähigen, auf Veränderung zu reagieren, sich auf ihre Weise an die Herausforderungen unserer komplexen Welt, beispielsweise der Klimakrise, anpassen können. Für Sirka Laudon bedeutet Transformation damit auch:
“Es geht darum, Demut zu lernen, dass Geschäfte jetzt anders funktionieren.”
Offenheit, Dialog und die Fähigkeit zur Bewegung gelten als zentrale Erfolgsfaktoren, ergänzt Frauke von Polier. “Wir erleben gerade eine große Erschöpfung bei allen, ja sogar bei uns selbst”, und genau darüber müssen wir offen sprechen, weil nur so eine gemeinsame Bereitschaft entsteht, die Herausforderungen gemeinsam zu meistern.
Wir suchen heute noch oft den besten Fachexperten für eine Position. Gleichfalls ist uns klar: Resilienz und Veränderungsfähigkeit gelten als erfolgversprechend für zeitgemäße Führung und Mitgestaltung. Welche Rolle spielen solche Kompetenzen bei Personalentscheidungen? “Bei wirklichen Top Führungspositionen würde ich heute viel stärker auf die Persönlichkeit setzen. Es geht um die Fähigkeit, mit den Menschen der Organisation in Resonanz gehen zu können” ist Sirka Laudon überzeugt. Wobei es auch auf den kulturellen Hintergrund ankommt; wenn beispielsweise – wie in (Organisations-) kulturen – die Menschen in autokratischer Führung sozialisiert sind, kann eine konziliante, auf Partizipation fokussierte Führungskraft kaum Wirkung erzeugen.
Zum Abschluss teilen Sirka Laudon und Frauke von Polier ihre Gedanken zum Umgang mit wachsender Arbeitsverdichtung und damit einhergehender Belastung – auch und besonders auf den Top Executive Ebenen. Frauke von Polier: “Die Fähigkeit zum Abschalten, Auftanken, gut schlafen wird entscheidend.” Und: Als Rolemodels in unserer Organisation haben wir eine hohe Verantwortung, das “alltime ON” nicht als als erwünschtes Verhalten vorzuleben – wie oft in traditionellen Organisationen die Regel.
Sirka Laudon: “In Zeiten zunehmender Beschleunigung und Belastung wird uns in der Arbeitswelt viel abverlangt.” Daher muss unsere Kultur der Zusammenarbeit in gleichem Maße besser werden. Wichtig sei auch, bei allen das Bewusstsein für ein besonders wertschätzendes und vertrauensvolles Miteinander zu schärfen.
“In Zeiten wie diesen dürfen uns Politik und Querelen uns nicht noch zusätzlich Kraft rauben.”
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Informationen zu unserem Buch “Graswurzelinitiativen in Unternehmen” gibt es -> hier.
Links
Wahl zum CHRO des Jahres 2022 des Haufe Personalmagazin: https://www.haufe.de/personal/personalszene/chro-of-the-year/chro-of-the-year-2022_74_573816.html
Frauke von Polier:
Linkedin Profil: https://www.linkedin.com/in/frauke-von-polier-499589b1/
„Anfangs nur zuzuhören war nicht immer leicht, aber genau das Richtige“
„Anfangs nur zuzuhören war nicht immer leicht, aber genau das Richtige“
“Frauke von Poliers Arbeitswelt”: https://www.humanresourcesmanager.de/die-arbeitswelt-von-frauke-von-polier/
Sirka Laudon:
Linkedin Profil: https://www.linkedin.com/in/sirka-laudon-92b92569/
“20 Fragen an Sirka Laudon”: https://www.arbeit-und-arbeitsrecht.de/fachmagazin/20-fragen/zwanzig-fragen-sirka-laudon.html
„Wir wurden um drei Uhr nachts von der Stasi zum Verhör geholt“
– im Chefgespräch mit der Wirtschaftswoche: https://www.youtube.com/watch?v=uJN5tzp3SYo
Brene Brown Ted Talk zu Verletzlichkeit: https://www.youtube.com/watch?v=iCvmsMzlF7o
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