Deutsche Messe: Vernetzung vorleben

Es ist still rund um deutsche Vorstandsetagen. Mahagoni getäfelte Wände, gepolsterte Doppeltüren, hochflorige schallschluckende Teppiche. Nicht viel dringt nach außen ohne Abstimmung mit Unternehmenskommunikation und Pressesprecher. Geredet wird hinter verschlossenen Türen, Vernetzung findet nur unter seinesgleichen statt.

Das ging alles gut, solange die Welt noch in Ordnung war, die Deutschland AG fest Richtung Bonn verankert war, die Hierarchie den Bestand der Konzerne sicherte, deutsche Autobauer und nicht amerikanische Handy-Verkäufer die wertvollsten Unternehmen waren, solange es drei Fernsehprogramme gab und die Tageszeitung das Medium war, aus dem man morgens erfuhr, was die Welt bewegt.

Diese Zeiten sind vorbei. Und man muss nicht schon vor Jahren Laloux gelesen haben, um zu verstehen, was dies für traditionelle Unternehmen heute bedeuten kann. Es reicht, sich die Entwicklung der letzten 10 Jahre anzuschauen, um zu erkennen, dass Hierarchie dem Netzwerkgedanken weicht, dass in dieser komplexen und nicht mehr nur komplizierten VUCA Welt Reaktionen auf Marktveränderung nicht mehr auf eindeutige Ursachen zurückgeführt werden können und starre Strukturen den Erdstößen nicht mehr standhalten.

Die sozialen Medien ermöglichen es nun schon lange für jeden einzelnen, ungefiltert die Veränderungen wahrzunehmen, aber ebenso Teil dieser Signale zu sein. Im positiven wie im negativen Sinne. Passivität ist eigentlich als Gestalter keine Option mehr. “Märkte sind Gespräche” – man muss nur zuhören wollen. Amerikanische Unternehmenslenker haben dies schon früh begriffen. CEOs wie Elon Musk oder John Legere haben Millionen Follower, nutzen den direkten Draht und haben ihre Fühler, immer wieder findet man sie im direkten Dialog mit Endkunden. Auch wenn viele unterstellen, oft sei das inszeniert – die Wirkung ist erheblich. Die sozialen Medien sind für sie Frühwarnsysteme und Marketing-Instrument zugleich. Nur: Man muss es halt machen. Selber.

“Social is one of those things that if you don’t do, you don’t get. And if leaders are not professionally socially active, you will never get a social organisation.” (-> Leaders should be encouraging staff to use social media at work)

In deutschen Chefetagen läßt man sich aber gerne lieber gefiltert vortragen, was draußen so geschieht. An Gesprächen beteiligt man sich nicht. „Das Schweigen der Männer“ betitelte Stephan Grabmeier seinen Beitrag zu diesem Thema. Es sind offenbar die wenigen Frauen wie Siemens CHRO Janina Kugel, die medial präsent sind und den direkten digitalen Draht zu Kunden und Kollegen nicht scheuen, damit auch etwas von sich preisgeben, sich damit  einen Schritt aus der Deckung wagen. Die Männer halten das meist für modisches Zeug, das schon wieder weggeht. Genauso wie das Internet. Und so schaut auch gerade hierzulande ein Großteil der Mitarbeiter in deutschen Konzernen verwirrt, wenn man ihnen die Wunder der digitalen Vernetzung näherbringt.

Es ist damit auch kein Wunder, wenn wir in Projekten rund um Digital Workplace, Social Intranet oder Enterprise Social Networks immer noch so viel Zurückhaltung erleben. Da kann man den Kollegen noch so sehr zurufen „Vernetzt Euch“, „Teilt Euer Wissen“, “Seid sichtbar!”. Skepsis überwiegt, gerade hierzulande. Sie speist sich aus den Medien (“Die Einbrecher lauern auf Facebook!”) oder aus der Beobachtung der Kinder (“Zeitfresser! Die reden ja gar nicht mehr miteinander“). Die wenigsten Unternehmen machen sich die Mühe, die Funktion und Bedeutung sozialer Medien ihren Mitarbeitern nahezubringen.

Viele dieser Widerstände – erst kürzlich durften wir dies in unserem  Workshop „Dealing with Headwind“ bei der Daimler AG herausarbeiten – basieren auf den zugrundeliegenden Ängsten der Mitarbeiter.  Es gibt wenig Vorbilder – da helfen auch die Appelle von HR oder Unternehmenskommunikation wenig. “Der Mitarbeiter als wichtigster Markenbotschafter”, “zeigt Euch auf Kununu”, “singt unser Lied auf Twitter” – aber warum? Die da oben schweigen ja auch.

Ein aussergewöhnliches Beispiel, wie es auch anders geht, haben wir letzte Woche bei der Deutschen Messe gesehen. Die Deutsche Messe, in deren DNA eigentlich seit 70 Jahren das Thema „Vernetzung“ schlummert, dies aber bisher nur in gigantischen Messehallen und schicken Konferenzzentren gelebt wurde, hat sich auf den Weg gemacht. Und zwar auf allen Ebenen.

Die Mitarbeiter werden mithilfe von Working Out Loud an das Thema soziale Venetzung behutsam herangeführt, und Vorstand Dr. Jochen Köckler geht mit gutem Beispiel voran. Seit wenige Wochen erst bei LinkedIn präsent, erlebt er nun selber, was es heißt, sich aus der Deckung herauszuwagen. “Gehen sie unverkrampft und mit Neugier an die neuen Medien heran!” motiviert er seine Mitarbeiter. Er selbst sieht seine mediale Präsenz als Teil seines Jobs.

“Some CEOs say they’re too busy for social media . I say it’s part of the job .” (Jack Salzwedel, @AmFamJack, CEO American Family Mutual Insurance Company)

Die Mitarbeiter wiederum sind ermutigt, sichtbar zu werden, sich mit Experten intern und extern zu vernetzen. Die Frage „Dürfen wir das überhaupt?“ ist beantwortet durch die simple Präsenz des Vorstandsvorsitzenden. Personalabteilung und Betriebsrat einigen sich auf „Social Media Sprechstunden“, um alle Mitarbeiter, die Interesse haben, mit dem Thema vertraut zu machen. Mindset, Skillset, Toolset – ein ermutigender Vorstand, ein Programm, das Mitarbeiter an digitale Technologien heranführt, und eine Plattform, auf der sich Mitarbeiter im geschützten Raum zukünftig austauschen können.

Es gäbe viele gute Gründe, die Vernetzung der Mitarbeiter nach innen und nach außen zu fördern. Die Deutsche Messe geht dabei voran. Und die anderen Mitstreiter zollen Respekt

 

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