Install, Promote, Support – wie man interne soziale Netzwerke als Plattform für digitalen Wandel zum Fliegen bringt

Für viele Unternehmen beginnt der Maßnahmenkatalog eines (digitalen) Transformationsprogramms mit einem technologischen Schritt: sie schaffen die Grundlage für vernetzte,. offene, partizipative und agile Kommunikation und Zusammenarbeit mit einem internen sozialen Netzwerk. Dass die Einführung eines Enterprise Social Networks noch nicht viel ändert, ist eine Erkenntnis aus vielen Projekten und an dieser und vielen anderen Stellen oft wiederholt worden.

In meinem Rollenverständnis als „Reisebegleiter“ in Projekten der digitalen Transformation ist es dennoch immer wieder einer der ersten Schritte, den ich Unternehmen nahe lege. Bewußtsein schaffen für den Wandel, den digitalen Reifegrad erhöhen, weniger Hierarchie wagen, mehr Selbstorganisation zulassen – all das geht leichter, wenn man eine Plattform schafft, die wie ein zentrales Nervensystem die Menschen in Unternehmen miteinander vernetzt und die Möglichkeit für übergreifende Kommunikation und Zusammenarbeit schafft.

Kurz vor der Sommerpause werfe ich daher einen Blick auf die Herausforderungen der letzten 12 Monate in der Arbeit mit wirklich spannenden Kunden, die neue Wege in der Kommunikation und Zusammenarbeit beschreiten als Grundlage für den organisatorischen Wandel und ein ESN etablieren.

Fall #1: Technologie ist Nebensache. Its the corporate culture, stupid!

Steckbrief der Organisation: Monolithische Software-Architektur, fast alle Lösungen von einem Software-Anbieter, „Social“ wird als Zusatzfunktion angeflanscht.

Fokus der Projektarbeit: Beschwichtigung, dass bald alles besser wird. Die mobile Nutzung wird bald besser. Der Feed bald besser. Die Nutzerprofile bald hübscher.

Technik ist Nebensache? Eine Annahme, die nur dann gilt, wenn die Plattform wirklich tut was sie soll – Mitarbeitern intuitiv ermöglichen, Inhalte zu teilen, Quellen zu folgen, sich mit Kollegen zu vernetzen. Wenn die Plattform das nicht tut, dann hilft die beste Adoption Strategie nichts. Technik ist Hygiene-Faktor, nicht Wachstumsfaktor. Mit der perfekten Plattform bekommt man Menschen nicht noch schneller zu kollaborativen Denk- und Arbeitsweisen, aber mit einer holpernden Technologie ist das Projekt erst gar nicht aus den Startlöchern zu holen.

Top Herausforderung: Die digitalen Mitstreiter bei der Stange halten.

Fall #2: Von Top Down Kommunikation zum Social Intranet

Steckbrief der Organisation: Traditionelle Organisation, Wissensarbeiter, papiergeprägte Workflows, alles wird sorgfältig durchdacht, Information fliest immer Top Down, nie quer.

Fokus der Projektarbeit : Kommunikation. Kommunikation. Kommunikation. Der Interessenausgleich steht im Mittelpunkt. Intensiver Austausch mit Vorstand, Führungsebene, Arbeitnehmervertretung.

Irrige Annahme: Wissensarbeiter sind schneller davon zu überzeugen, Wissen zu teilen. Tatsächlich leben Wissensarbeiter von geteiltem Wissen, das sie konsumieren und zu neuen Erkenntnissen aufbereiten, aber selber teilen sie nur ungern. Geregelte Bahnen der Veröffentlichung stehen im Fokus. Und die führen meist nach außen, aber nicht nach innen oder gar zwischen Kollegen.

Top Herausforderung: Digitale Mitstreiter überhaupt finden, sichtbar machen, stärken. Und die Frage nach dem „Wozu?“ immer neu beantworten.

Fall #3: Mit der Unternehmenskommunikation im Boot kann nichts schief gehen

Steckbrief der Organisation: Finanzdienstleister-Branche. Digitaler Arbeitsplatz noch in weiter Ferne. Arbeit in Silos, Vernetzung und offene Kommunikation wird eher stirnrunzelnd als Modeerscheinung gesehen. Schließlich bekommen die Mitarbeiter die Information, die sie für ihre Arbeit brauchen, zugespielt. Immerhin: Unternehmenskommunikation ist aktiv im Projektteam.

Unternehmenskommunikation wird mittlerweile zu recht oft ins Boot geholt, denn interne soziale Netzwerke entwickeln sich zu den digitalen Arbeitsplätzen der Zukunft, das gute alte Intranet geht darin auf, die Bedeutung von File Shares und e-Mail schwindet. Zentraler Erfolgsfaktor ist der Umgang im Kommunikation, die Bereitstellung von Inhalten, die zu Interaktion anregen, das aktive Management von Communities – alles Kompetenzen, die man in der Unternehmenskommunikation vermutet.

Was oft nicht beachtet wird: Die Unternehmenskommunikation verliert ihre Verkündigungsrolle, die Bedeutung der Top-Down-Kommunikatioon schwindet, die UK kontrolliert nicht mehr den Informationsfluss – zumindest realisiert sie diesen Kontrollverlust deutlich durch die Einführung eines #ESN.

Was also, wenn die Incentivierung der Redaktion nach Klick-Zahlen der Top-Stories im Intranet nicht mehr funktioniert?

Fokus in der Projektarbeit also: Die Kommunikation von der Publisher-Rolle hin zur Facilitation-Rolle zu begleiten. Und das Schlimmste verhindern in Bezug auf die Forderung nach „pixelgenauem Layout“ im social Intranet. Das geplante Regelwerk rund um die Angst, dass ja jetzt jeder alles an alle posten könnte, entschärfen – also eine Intranet Governance entwickeln, die nicht ein dickes Gesetzbuch wird.

Fall #4: Speed!

Steckbrief der Organisation: Versicherung in einem aktuell noch sehr lukrativen Marktsegment, kaum bedroht von InsureTecs und wenig kannibalisiert von Wettbewerbern. Ein Vorstandswechsel bringt neue Sichtweisen auf drohende Risiken und den Mut, lieber jetzt als später die gemütliche Organisation in Schwung zu bringen.

Fokus der Projektarbeit: Parallel Technik und Programm für die Adaption aus dem Boden stampfen, Multiplikatoren identifizieren, trainieren und begeistern. Auf virale Netzwerk-Effekte setzen.

Von der Kaufentscheidung bis zum Launch zwei Monate – extrem sportlich. Hier haben wir uns nicht lange mit Governance aufgehalten, Technologie-Entscheidung orientierte sich an bewährter Best Practice bei Partnerunternehmen, viele bestehende Bausteine bis hin zu fertigen Hilfe-Wikis werden schnell und unbürokratisch übernommen. Look & Feel sind eher Nebensache, Pixeldiskussionen finden nicht sattt, Funktionalität steht im Vodergrund. Das Standardprodukt wird genutzt, es wird so gut wie kein Customizing vorgenommen.

Bei der Geschwindigkeit bleibt für langes Ertüchtigen und Gewinnen der mittleren Führungsebene kaum Zeit. Vorstand rennt vorne weg, Multiplikatoren sorgen Bottom Up für Speed. Kolateralschäden bleiben nicht aus. Das Einsammeln wird nun im Nachhinein die nächsten Monate erfolgen. Dennoch: Allein die Bewegung, die Dinge anders zu machen, und die Begeisterung der Akteure sorgt für positiven Schwung und sichtbare Erfolge. Jetzt wird nach Sprint auf Dauerlauf umgeschaltet.

Fall #5: Next Level

Steckbrief der Organisation: Bank. Sparkasse. Dynamische Unternehmensleitung. Reduzierte Hierarchie-Ebenen, Fokus auf Eigenverantwortung der Mitarbeiter, starke Vertriebsorientierung. Herausforderung Digitalisierung frühzeitig erkannt.

Die OstseeSparkasse ist einer der Vorreiter in der Sparkassenfinanzgruppe, wenn es darum geht, den Herausforderung der Digitalisierung zu begegnen. Mit OSPA-Connect wurde frühzeitig ein internes soziales Netzwerk etabliert nach dem Vorbild es Ostdeutschen Sparkassenverbands. Es folgten diverse Digitalisierungs-Initiativen, sowohl auf Produkt-Seite als auch bei den Themen Employer Branding und Social Learning.

Fokus der Projektarbeit: Den Austausch und den Grad der Vernetzung nach innen und nach außen erhöhen. Viele Mitarbeiter hat man schon erreicht, aber die Multiplikatoren brauchten neuen Schwung. Herausragende Maßnahme in diesem Jahr: Mit Community Management und Working Out Loud mehr Mitarbeiter zu vernetzter und offener Arbeitsweise animieren. Die Technologie hat sich bewährt, das ESN ist zum Rückgrat der Kommunikation geworden.

Fall #6: Offene Kommunikation gegen verkrustete Strukturen

Steckbrief der Organisation: Traditioneller Mittelstand, wenig direkter Wettbewerb, enge Verflechtung mit Politik und Verbänden. Zahlreiche Gremien verhindern Wandel, Prozesse in einem Komplexitätsgrad wie bei einem Großunternehmen verhindern dynamische Anpassung.

Fokus der Projektarbeit: Neue Formate der internen und externen Kommunikation finden, Mitarbeiter inspirieren, Innovation fördern, Silos und lokale Fürstentümer aufbrechen.

Auch hier eines der ersten Teilprojekte als Voraussetzung für den Wandel: Ein internes soziales Netzwerk etablieren, Mitarbeiter offline und online miteinander vernetzen, die Treiber identifizieren und Multiplikatoren für die Sache gewinnen.

Besondere Herausforderung: Viele Entscheidungen werden nicht abgesegnet, vieles wird geduldet. Das Projektteam verfolgt überwiegend eine Guerilla-Strategie. Schnelle Auswahl von Tools und Methoden, Fokus auf Gewinnung der Mitstreiter. Maßnahmen wie Brownbag Meetings mit digitalen Impulsen oder Reverse Mentoring zur Erhöhung des digitalen Reifegrads der Führungskräfte begleiten das Projekt.

Die Top 3 Handlungsfelder bei der ESN Einführung

Jedes dieser Unternehmen bringt seinen eigenen Set von ungeschriebenen Regeln, Verhaltensmustern bei Mitarbeitern und Führungskräften, sichtbaren und unsichtbaren Zeichen einer mehr oder weniger kollaborativen Unternehmenskultur mit. Was verbindet also die oben beschriebenen Fälle? Gibt es ein Patentrezept für die Einführung eines ESN?

Vor Jahren habe ich eine Liste der Erfolgsfaktoren für die Einführung eines ESN aus damaliger Sicht und Erfahrung zusammengetragen:

 

Ich würde auch heute noch sagen, dass dies zentrale Punkte bei der ESN Einführung sind. Geändert hat sich seitdem aber die strategische Zielsetzung solcher Projekte. Anfang dieses Jahres fragte ich in der Klugen Filterblase hinein: „What would be your top 3 actions for driving adoption right from the start?“:

Eine Reihe knackiger Antworten aus dem Klugen Netzwerk gab es gleich als Antwort zurück, viele davon gingen in die Richtung „Install it, Promote it, then wait and support“.  Eine zulässige starke Vereinfachung, die aber nicht bedeutet, dass „Promotion“ im Vorübergehen erledigt wird und „Waiting“ nicht eine der Kardinalstugenden der Auftraggeber ist, wie einige der oben genannten Beispiele zeigen.

Insbesondere das Statement „Launch & Let go“ sah ich eher zwiespältig, zeigte doch meine Erfahrung, dass von allein in frisch gestarteten internen Netzwerken oft nicht viel geschieht – insbesondere in eher abgeschotteten, streng hierarchisch funktionierenden Kulturen. Die Kluge Grundannahme, dass Menschen, die offline schon nicht zusammenarbeiten wollen, es auch online nicht tun werden, bestätigt sich nun einmal meist. Dennoch ist sicher auch richtig, dass sich in den letzten Jahren einiges verändert hat. Immer mehr Menschen machen Erfahrungen mit sozialen Netzwerken im Privatleben, immer mehr „Digital Natives“ kommen in die Unternehmen und verstehen die Welt nicht mehr, wenn man ihnen Mail und Abteilungslaufwerke als Mittel der Zusammenarbeit verkaufen will. Der Anteil der Mitarbeiter, die heute begeistert interne soziale Netzwerke nutzen, steigt. Bottom-Up wird stärker, und Top-Down lassen Vorstände in zukunftsorientierten  Unternehmen Freiraum für Selbstorganisation.

Aus den Erfahrungen der letzten Zeit und aus den Erfahrungen der vieler Praktiker fehlte in der oben genannten Liste aber insbesondere ein Punkt, der so banal und selbstverständlich ist, den man aber nicht oft genug betonen kann: Die Macht des Netzwerks in Form begeisterter Multiplikatoren. Es ist einer der ersten wichtigen Schritte, die digitalen Treiber zu identifizieren und sie zu begeisterten Change Agents zu machen. Eines der bekanntesten Beispiele ist das von Harald Schirmer bei der Continental AG etablierte GUIDE Netzwerk,  die Kollegen von PostShift haben das Thema in dem Blogpost „Guide Networks: How To Involve The Whole Firm In Digital Change“ ausführlich beschrieben.

 

Insofern muß es eigentlich heißen: „Install the platform, build a network of volunteers, promote the ESN & let go“

Meine aktuellen Prioritäten:

  1. Ein Netzwerk von Unterstützern, Multiplikatoren, Freiwilligen aufbauen
  2. Den Sponsor im Top Management gewinnen und Vertrauen aufbauen, um für Projektteam, Multiplikatoren und engagierte Treiber Freiräume für Eigeninitiative zu schaffen – Motto: Frage nicht vorher um Erlaubnis, sondern lieber später um Vergebung.
  3. Prominente Anwendungsfälle finden, diese mit den Multiplikatoren umsetzen (1), ihnen den Rücken freihalten mit dem Support durch den  Sponsor (2) und die Erfolgsgeschichten immer und immer wieder erzählen.

Zurückblickend auf viele Jahre mit dem Thema Social Collaboration lautet eine weitere Empfehlung: Fangen Sie jetzt an. Heute. Denn es dauert erfahrungsgemäß Jahre, bis neue Arbeitsweisen unternehmensweit adaptiert werden. Eine ESN Einführung ist kein Projekt, es Teil eines Change Programm ohne definiertes Ende. Es legt die Grundlage für weniger Hierarchie und offene Zusammenarbeit, für das Bestehen in der VUCA Welt.

 

Nachtrag:
Ein paar weitere Tipps zum Thema finden sich bei den Kollegen von PostShift. Lesenswert:

Practical ideas to level up your social platform

 

 

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