Enterprise 2.0 Summit 2015 – ein Rückblick

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Der Enterprise 2.0 Summit in der letzten Woche war der richtige Ort, um sich mit Kollegen, Anwendern und Vordenkern über neue Organisationmodelle und Arbeitsplätze der Zukunft auszutauschen. Die Diskussion ist zunehmend bestimmt von den Herausforderungen des Change Management, der Einbindung aller Hierarchie-Ebenen, der Überzeugung des Top-Management – die technische Komponente rückt zu recht in den Hintergrund. Mit der Frage nach der Relevanz von Social Business und der erhöhten Aufmerksamkeit für das Thema im Management rückt in diesem Jahr auch die berechtigte Frage in den Vordergrund: Was bringen diese Projekte eigentlich? Wie kann Erfolgsmessung überhaupt stattfinden?

Es waren wertvolle und gut investierte drei Tage. Der Themenkomplex rund um Enterprise 2.0, Social Business oder Digitale Transformation nimmt an Bedeutung zu, deutlich spürbar ist, dass der visionären Aufbruchstimmung nun im Übergang zum Stadium der Produktivität auch viel Ernüchterung folgt. Nicht, weil der Umbau der Unternehmen vor dem Hintergrund der technologischen Entwicklung und des Wertewandels voranschreiten muss (das ist unbestritten), sondern weil deutlich wird, wieviel Aufwand und Geduld tatsächlich notwendig ist, um im Unternehmen den Wandel zu treiben.

Meine Dokumentation der relevanten Tweets vom E20Summit finden sich auf -> Storify. Einige der Kernaussagen aus der “Social Adoption Masterclass” von Lee Brynat, die ich für besonders relevant halte, gibt es hier auch nochmal im Klartext:

  • Alle sind sich einig: Der „Technology First“ Ansatz bei der Einführung von Enterprise Social Networks führt immer zum Scheitern. Eigentlich Binsenweisheit, aber insbesondere von denen, die die Technologie verkaufen, immer noch oft ignoriert. Auf solchen Fehlern basieren ganze Geschäftskonzepte von Beratern („We make Sharepoint suck less“)
  • Dennoch tut sich einiges auf dem technologischen Layer. Eine Reihe von kleinen, smarten Collaboration Apps sickert in den Markt. Slack ist nur ein Beispiel dafür. Die großen Platzhirsche mit ihren großen ESN Suites versuchen nun , auf Basis ihrer Plattformen kleinere, hoch spezialisierte Apps für spezifische Anwendungsfälle anzubieten. Passend dazu das Interview mit Slack-Gründer Butterfield bei t3n:

Es hat schon Vorteile, wenn ich mein Smartphone in die Hand nehmen kann und das Slack-Icon darauf sehe und sofort weiß, dass darin all die Menschen sind, mit denen ich arbeite – aber es sind eben auch nur die Menschen, mit denen ich arbeite. Der kognitive Aufwand beim Trennen und Isolieren all dieser unterschiedlichen Signale in einem normalen Umfeld ist relativ hoch.

  • Die kleinen, einfachen Apps helfen den Unternehmen, punktgenaue Anwendungen rund um den jeweiligen Anwendungsfall zu designen. Dabei werden verschiedenste Lösungen integriert werden müssen, egal ob WordPress Blog oder Confluence Wiki. Eine Idee mag dann mit einem WordPress Blog Eintrag beginnen, dann im Wiki gemeinsam konsolidiert werden und, wenn das ganze dann zu 90% fertig ist, in ein Dokument verpackt werden. Integration und Schnittstellen werden wichtiger.
  • Viele Projekte, bei denen euphorisch Technologie ausgerollt wurde nach dem Motto “Die Anwender werden schon kommen” liegen brach. Viele Teilnehmer teilten meine Erfahrung, dass wir jetzt eine Reihe von “Revitalization”-Projekten auf uns zukommen sehen. Der Wind weht durch einsame digitale Flure, das Thema Community Management wird somit immer relevanter.
  • e-Mail. Oh ja. Derzeit sieht es nach einer Renaissance der e-Mail aus. IBM steigt mit Verse erneut in den e-Mail-Ring, Amazon ist neu im Kampf, und Google und viele andere wollen die e-Mail auch neu erfinden. Eine Renaissance? Eher nicht. Es geht darum, e-Mail in den Kontext zu setzen. e-Mail ist immer noch das zentrale Medium, aber die Wege der Kommunikation und Zusammenarbeit werden zunehmend  zersplitterter. Es geht nun um Integration, smarte Analyse von Relevanz und Kontext, es geht darum, den Überblick zu behalten. Der gute alte Mail-Client hilft nur, wenn man sonst alle anderen Kanäle ignoriert. Der Trend zeigt aber, dass es immer mehr Kanäle werden. Unified Collaboration bleibt ein Traum:

    • Dokumente: Der Mensch ist ein träges Tier, und ebenso wie von e-Mail kann er sich schwer von der Content-Hülle “Dokument” trennen. Auch dies ein viel diskutierter Punkt. Es ist schlicht nicht vorstellbar für viele Anwender in Unternehmen, sich von Formen und Formaten zu trennen und nur noch an Inhalten zu arbeiten. Viele Prozesse sind auch genau darauf ausgerichtet, und viele Systeme unterstützen nur eine dokumentenorientierte Zusammenarbeit. Verhalten ändert sich langsam, und gerade im Unternehmen können etablierte Prozesse nicht im handumdrehen verändert werden.
    • Adaption. Man kann es gar nicht oft genug wiederholen. Der bloggende Vorstand hilft natürlich nur beschränkt, wenn es nicht authentisch ist und sich die Blog-Posts wie persönliche Pressemitteilungen lesen, die erkennbar nicht der Vorstand selbst schreibt. Nicht selten wechselt ein Vorstand, und es entsteht eine Lücke, die nicht kompenisert werden kann, wenn der bloggende Vorstand eigentlich das einzige Zugpferd des neuen Social Intranets war. Dennoch: Auch sichtbarer Top Management Engagement ist essentiell. Es sind die “low level signals”, die besondere Relevanz haben. Dann, wenn sich der Vorstand in einer Fachcommunity plötzlich aktiv zeigt, einen Eintrag von Mitarbeitern kommentiert, die in der Hierarchieebene weit unter ihm stehen.  “be insiede the newtorks, not on top of the networks”

 

 

  • “Sie werden schon kommen”. Anwender kommen von alleine. Facebook musste man auch nicht lernen, warum also Training? Auch dies ein Mythos, der sich durch alle Projekt zieht. Ohne Training, ohne Begleitung der Anwender, orientiert am jeweiligen Anwendungsfall, wird keine Bewegung hin zu neuen Arbeitsweisen gehen. Ziel sollte nie sein, die Werkzeuge zu erklären, sondern den Kollegen zu helfen, ihre Arbeit effizienter zu machen. Merke: Der Mensch ist nunmal ein Gewohnheitstier, und außerhalb unserer Web 2.0 / Enterprise 2.0 Filterblase sitzen in Industrie, Banken und Versicherungen Anwender, die eben nicht mit Social Tools vertraut sind.
  • Ausdauer. Viele Praktiker berichten von enormen Aufwänden, vom Pilotprojekt bis zum Kickoff. Das Aktivitätsniveau ist hoch, und kaum ist die neue Plattform produktiv, wandern die Budgets in andere Projekte. Ohne kontinuierliche Investition in die Begleitung und Entwicklung von Anwendungsfällen erlahmen die Initiativen. Das Aktivitätsniveau muss über Jahre gleichmäßig hoch sein.
  • Treiber. Enthusiasten. Change Agents. Die Organisation braucht ein Netzwerk von Change Agents, die den Wandel kontinuirlich weitertreiben und die neuen Werte leben, die Kollegen mitnehmen, gegen Hürden anrennen und Neues probieren.  Und dafür braucht es…
  • Freiraum. Organisationen haben eine natürliche Immunabwehr. Das neue Social Business Projekt wird sicher sofort sterben, wenn der Sponsor nicht schützend seine Hand über das Projekt legt. Und zwar lange. Das Pilotprojekt muss sichtbar sein, am besten mit gläsernen Wänden, um Neugier zu wecken und neue Treiber zu gewinnen. Erst wenn die Pflanze gewurzelt hat, kann die Immunabwehr nichts mehr tun Auch dies braucht Zeit und Geduld.
  • Hierarchie: Stabilität bedeutet Sicherheit, Veränderung ist aber an sich schon unsicher. Organisationen brauchen ein Minimum an Hierarchie und Prozessen, um in stürmischen Zeiten bestehen zu können. Sie brauchen aber auch Flexibilität, um sich anpassen zu können. Intensiv wurde diskutiert um die Frage, ob die hierarchiefreie Organisationen nicht schon ein Widerspruch in sich sind und ob das Paradebeispiel Zappos wirklich das ist, was es vorgibt zu sein. Tenor in vielen Gesprächen: “Don´t replace hierachy. Keep hierarchy to do the boring stuff”. Innovation und neue Dinge geschehen ohne Hierarchie. Die Herausforderung ist es, die unverschiebbaren organisatorischen Fixpunkte zu finden, die Hierarchie bis auf die blanken Knochen auszudünnen, so dass sie noch stabil, aber frei von Balast ist, und dann drum herum agile Einheiten zu schaffen. Schöne Bilder, leicht dahergesagt, in der Umsetzung herausfordernd. Einige prominente Beispiele wie W.L. Gore oder Virgin.
  • Zugang. Grenzen einreißen, Hürden abbauen. Neue Technologien bringen universelle Zugangsmöglichkeiten. Mobile ist einer der Treiber. BYOD, freies WLAN im Werk und ähnliche Konzepte senken die Nutzungsschwelle. Eine ernste Herausforderung für die Gralshüter der Unternehmenssicherheit, aber kaum wegzudenken. Wer heute über VPN mit Token und drei Accounts und vier Passwörtern eine Statusmeldung von unterwegs kommentieren möchte, wird das höchstens einmal tun.
  • Vorbilder. Superhelden. Für viele Organisationen scheint es erfolgversprechend zu sein, besonderes Engagement von Mitarbeitern im sozialen Netzwerk sichtbar zu machen. Gamification hilft, je nach Kultur-Raum. Ich persönlich glaube nach wie vor, dass insbesondere in Deutschland das Thema mit Vorsicht zu genießen ist. Abzeichen oder Orden für den Blogger des Monats können auch dazu führen, dass die Lauten lauter werden und die Stillen stiller werden, obwohl sie wertvolles beizutragen hätten. Generell ist sicher richtig: Erfolge sollten sichtbar gemacht werden und auch gefeiert werden. Die Nutzung von Communities kann man hervorragend visualisieren und erfolgreiche Modelle herausstellen.
  • ROI. ROT. ROE. Irgendwann kommt die Frage nach dem Erfolg. Was wurde in das Projekt investiert, was ist dabei herausgekommen. Bei Bosch ermittelt man einen Return on Time invested. Auch war die Rede von einem Return on Engagement. Metriken kann man aus Umfragen, aber auch aus Backend-Daten ermitteln. Der Grad der Vernetzung kann visualisiert werden. Vieles davon ist Zahlen-Voodoo, aber oft unerläßlich, um skeptische Controller zu überzeugen.
  • Was sollte man messen? Anzahl der Blogs? Anzahl der Kommentaren? Anzahl aktiver Nutzer? Standard, rein quantitativ, aber unerläßlich. Spannender wird es , wenn man die “organizational health” messen will. Social Network Analysis Werkzeuge können dabei helfen, Aussagen zu machen zum Grad der Verbundenheit und Vernetzung im Unternehmen. Zusammen ergeben diese Metriken, gewonnen aus Nutzung-Statistik und Umfragen, eine Form der “Quantified Organization”, analog zum Trend zum “Quantified Self”, dem Menschen, der sich ständig selbst vermisst. Im Idealfall ist dies ein kontinuierlicher Prozess, der allen Beteiligten ständig zeigt, wie das Unternehmen “lebt”.

Der Enterprise 2.0 Summit war ein wertvoller Austausch zwischen Praktikern. Auch wenn viele Unternehmen insbesondere im letzten Jahr in Enterprise Social Networks investiert haben – die  Herausforderung Nutzung und Implementierung neuer Denk- und Arbeitsweisen stehen fast allen noch bevor.

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